Gemüse für die Familie

tafelVon Florian Hagemann – Hagen.

Die Armut wächst – auch in Hagen. Immer mehr Menschen beantragen hier einen Berichtigungsschein, um in sozialen Märkten einkaufen zu können. Cornelia Sommer aus Altenhagen zählt zu diesen Menschen. Sie berichtet über ihre anfänglichen Bedenken und die Vorteile des sozialen Marktes im Stadtteil Vorhalle.

Als Cornelia Sommer vor annähernd sechs Jahren überlegte, Lebensmittel der Vorhaller Palette in Anspruch zu nehmen, grübelte sie lange. Es bedurfte dazu eines Berechtigungsscheins, der nur Bedürftigen ausgestellt wird. Armen. „Das kostet dann Überwindung“, sagt die 43-Jährige. Schließlich hatte sie die Menschenansammlung vor dem Verkaufsraum an der Vorhaller Straße auch schon öfter wahrgenommen – aus der Ferne. Sie wusste daher, wie auf die Menschen dort geblickt wird, und sie ahnte, was es bedeutet, in der Schlange zu stehen. „Das hat etwas von Betteln.“

Heute gehört der Einkauf in der Vorhaller Palette für Cornelia Sommer zum Samstag wie für manch anderen der Besuch im Fußballstadion. Sie hat damals ihren inneren Schweinehund einen inneren Schweinehund sein lassen, Mut gefasst und sich bei der Caritas einen Berechtigungsschein besorgt. Ihr stand er zu: Cornelia Sommer ist alleinerziehende Mutter von drei schulpflichtigen Kindern, ihren Job als Krankenschwester kann sie nach drei Bandscheibenvorfällen nicht mehr ausüben. Die Folge: Harz IV.

Die Vorhaller Palette macht ihr Leben und das ihrer Kinder nun lebenswerter. Die Erfahrung machen aber nicht nur die Sommers. Die Zahl der Bedürftigen steigt – und mit ihr die Zahl derer, die sich einen Berechtigungsschein holen. Immer mehr sind auf die Hilfe angewiesen, es gibt sogar eine Warteliste für jene, die einen Berechtigungsschein beantragt haben. Jeden Samstag kommen bis zu 70 Menschen im Stadtteil Vorhalle zum Einkaufen, sagt Marianne Kerpal, die sich für diese ökumenisch ausgerichtete soziale Tafel engagiert. Umso mehr ist die Palette auf Spenden angewiesen.

Bei Cornelia Sommer besteht die Hilfe schlicht in einer großen Ersparnis, wenn sie bei der Vorhaller Palette kauft, deren Prinzip es ist, gerade nichts kostenlos anzubieten, um die Armen nicht als Almosenempfänger dastehen zu lassen, wie Marianne Kerpal erzählt. Die Lebensmittel aber sind billig: „Eine große Tüte mit Obst und Gemüse kostet dann vielleicht 89 Cent“, berichtet Cornelia Sommer. Selbst mit Preisen beim Discounter ist das nicht zu vergleichen.

Gerade in Monaten wie diesem ist die Vorhaller Palette eine große Unterstützung für Cornelia Sommer. Nach einer Behandlung ihres Sohnes beim Kieferorthopäden musste sie 133 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Da wird es bei regelmäßigen Besuchen im Supermarkt schon eng mit dem Budget. Zumal sie versucht, ihren Kindern auch noch etwas zu bieten, wenn sie sich sonst zurücknimmt. „Sie alle haben Blockflötenunterricht bekommen. Und wenn ich bei der Vorhaller Palette einkaufe, ist im Sommer womöglich noch ein Eis für die Kinder drin.“

Cornelia Sommer ist dankbar und möchte zugleich etwas zurückgeben. Sie engagiert sich als Schulpflegschaftsvorsitzende und als ehrenamtliche Helferin in Vereinen. Sie sammelt selbst auch für Bedürftige. All das will sie fortsetzen, wenn sie bald eine Weiterbildung zur psychologischen Begleiterin beginnt. Zudem tut sie sich als Köchin hervor. Ihrer Tochter Fiona schmeckt es auf alle Fälle. Insbesondere ein Gericht hat es der Zahnjährigen angetan: „Die selbst belegte Pizza.“ Was da drauf ist? Gemüse von der Vorhaller Palette natürlich.

Hintergrund

Das System einer Tafel ist auch in anderen Städten ein wichtiger Bestandteil des sozialen Zusammenlebens. Wie aber ist es in einer Stadt organisiert, die vergleichbar ist mit Hagen? In Kassel zum Beispiel gibt es die unabhängige Kasseler Tafel, die den Großteil der sozialen Essensausgabe organisiert. Bei einer Einwohnerzahl von annähernd 195000 Menschen gibt es 1240, die berechtigt sind, hier alle zwei Wochen ihr Essen zu besorgen – für einen symbolischen Preis von zwei Euro. Das Essen kommt von Metzgereien und Bäckereien aus der Region ebenso wie von großen Lebensmittelketten. Jeder Kunde bekommt eine feste Einkaufszeit von einer halben Stunde zugeteilt, in der er in der zentralen Ausgabestelle einkaufen kann. Das verhindert einen Massenandrang, gleichzeitig sind so maximal 25 Kunden in den Räumen der Kasseler Tafel an einer der größten Straßen Kassels. Der Bedarf steigt, wie Jutta Gurtmann von der Kasseler Tafel erzählt. Auf der Warteliste stehen 200 Menschen, und jeden Monat werden es mehr.


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